Aktinische Gewebeschäden entstehen durch ionisierende korpuskuläre oder elektromagnetische Strahlen.
Elektromagnetische Strahlen (Gamma-Strahlen) (= Photostrahlen = elektromagnetische Wellen = Quantenstrahlen) breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und werden definiert nach Wellenlänge, Amplitude und Frequenz. Die Energiequanten (Photonen) besitzen eine der Frequenz entsprechende Energie (Plancksche Quantentheorie).
Korpuskuläre Strahlen bestehen aus energiegeladenen Teilchen:
Heliumkerne |
= Alpha-Strahlen |
Elektronen |
= Beta-Strahlen |
Neuronen |
|
Pi-Mesonen |
|
Schwere Ionen |
|
Die Energieabgabe der Strahlen im Gewebe erfolgt durch
Ionisierung (Verlagerung oder Entfernung von Elektronen auf ihrer Umlaufbahn) oder
Bremsung der Partikel.
Die in einem definierten Gewebebezirk absorbierte Strahlungsenergie ist die
Energiedosis. Die Maßeinheit ist das RAD (0,01 Joule/kg).
Pathogenese
Die Einwirkung von ionisierenden Strahlen führt zur
Ionisierung und
Radiolyse der Zellen mit Bildung aggressiver Radikale, welche mit der DNA und RNA sowie mit den Zellmembranlipiden und Stoffwechselenzymen reagieren können.
Hierbei zeigt sich eine sehr unterschiedliche Strahlensensibilität verschiedener Gewebe (s. u. die Tabelle "Strahlensensibilität der Gewebe").
Die durch Strahlen bedingten Gewebeschäden hängen also von Energiedosis und individueller Strahlensensibilität einzelner Gewebe ab.
Funktionelle Strahlenschäden betreffen vor allem Membrantransport, oxydative Phosphorylierung.
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Der Effekt ionisierender Strahlen beruht auf direkten Einwirkungen auf Biomoleküle, darunter DNA und indirekten Einwirkungen über die Entstehung von chemischen Radikalen (OH
+, H
+, e
-, Peroxide) und Bioradikalen.
Der Verlauf der zellulären Veränderungen lässt sich in fünf Phasen unterteilen:
I. Phase |
Physikalische Phase
Ernergieabsorption |
II. Phase |
Radiochemische Phase
Chemische Radikale, Molekülveränderungen |
III. Phase |
Biochemische Phase
Veränderungen biologischer Verbindungen, einschl. DNA, Membranproteine u. a. |
IV. Phase |
Biologische Phase
Mutationen, Stoffwechselstörungen, subletale bis letale Läsionen |
V. Phase |
Zelluläre Phase
Makroskopische Zellläsionen, Tumoren, genetische Läsionen, terratogene Schäden, Zelltod, Gewebenekrose, Tod des Organismus |
Die Sensibilität der Gewebe gegenüber ionisierender Strahlung ist sehr unterschiedlich. Tödliche Dosen sind solche, welche lebenswichtige strahlensensible Gewebe zerstören. Andere Gewebe könnten überleben. Strahlensensible Zellen eigenen sich daher besser für die therapeutische Bestrahlung, insbesondere bei der Tumorbestrahlung.
Strahlensensibilität |
Gewebe |
sehr hoch |
lymphatische u. hämatopoetische Zellen intestinale Epithelien Keimzellen epidermale Basalzellen |
hoch |
Plattenepithel Urothel Drüsenepithel des Magens |
mittel |
Bindegewebe Glia Endothel Osteo- und Chrondroblasten |
gering |
Parenchym der Leber und Niere Drüsenepithelien Fettgewebszellen Osteo- und Chondrozyten |
sehr gering |
Ganglienzellen Muskelzellen |
Morphologisch finden sich in den Zellkernen Verklumpungen des Chromatins, die Kernpyknose und in den Geweben Zeichen der Entzündung, Blutungen, Thrombosen, Ödeme.
Ganzkörperbestrahlungen bis zu 500 R sind vor allem gekennzeichnet durch Schädigung des hämatopoetischen Systems. Dosen zwischen 500 und 1500 R führen darüber hinaus zu gastrointestinalen Schäden (Durchfall, Erbrechen) und noch höhere Dosen zu schweren Schädigungen des Zentralnervensystems. Dosen unter 200 R sind mit dem Leben vereinbar. Dosen von 200 bis 800 R können mit ärztlicher Hilfe überlebt werden.
Regionale Bestrahlung (therapeutische Bestrahlung) führt je nach Sensibilität der betreffenden Organe zu unterschiedlichen Schädigungen, gemeinsam ist diesen Schäden der Untergang vor allem der Epithelzellen, die Intimaschädigung und der narbige Gewebsersatz (Lungenfibrose, Schrumpfniere).
Therapie bei Strahlenunfällen
Erste Hilfe: Maßnahmen der Ersten Hilfe sind nur möglich und erforderlich bei gleichzeitigen thermischen und chemischen Einwirkungen.
Therapie
- Dekontaminiation und Dekorporierung
- Körperliche Ruhigstellung
- Antibiotikatherapie (nicht Prophylaxe)
- Blut - fraktionierte Zell- und Plasmainfusionen
- Knochenmarktransplantationen
- (Wasser- und Elektrolytsubstitution, artifizielle Ernährung)
- Vorsorgeuntersuchungen zur Überwachung von Tumorentstehungen (Schilddrüse, Lunge, Knochen)
- Lokalbehandlung (Wundbehandlung)
- Isolierung der Verletzten in sterilen Betteneinheiten mit Schleuse, um die Übertragung von Infektionen zu verhüten
Spätschäden der Bestrahlung: |
Haut |
Atrophie, narbiger Ersatz |
Augen |
Linsentrübung, Katarakt |
Knochen |
Nekrosen |
Knochenmark |
Stammzellnekrosen, fettiger und bindegewebiger Ersatz, Aplasie |
Magen-Darm |
Epithelnekrosen, Narben, Geschwüre |
Leber |
Thrombosen, portale Hypertension |
Niere |
Strahlennephropathie |
Blase |
Fibrose, Schrumpfung |
Hoden |
Schwere Schädigung der Spermatogonien, Mutationen |
Ovar |
Follikelnekrose, Mutationen |
Schilddrüse |
Atrophie, Fibrose, Karzinom (Kinder) |
Lunge |
Hyaline Membranen, Lungenfibrose |
Nerven |
Demyelinisierung |
Maligne Tumore |
In allen Betrahlungsfeldern erhöhte Karzinominzidenz. An der Spitze der Häufigkeit stehen Neoplasien des hämatopoetischen Systems und maligne Lymphome (Leukämie) |